Interview mit Prof. Dr.-Ing. Reinhard Wimmer, Fakultät für Architektur und Bauwesen, Hochschule Karlsruhe - Teil 1/4

Im Interview mit Prof. Dr.-Ing. Reinhard Wimmer von der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hochschule Karlsruhe geht es um das Thema Building Information Modeling (BIM). Wir beleuchten den aktuellen Stand, zukünftige Entwicklungen, notwendige Voraussetzungen und die Herausforderungen, denen sich die Branche stellen muss. In unserem dreiteiligen Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Reinhard Wimmer diskutieren wir diese und weitere relevante Fragen rund um BIM.

Herr Prof. Wimmer, wann kamen Sie das erste Mal mit BIM in Berührung?
Das war 2014, als ich einem Kommilitonen half, seine Masterarbeit zu schreiben. So erfuhr ich zum ersten Mal von der Digitalisierung von Bauprozessen. Seitdem beschäftige ich mich mit BIM. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass unsere konventionelle Art zu Arbeiten verbesserungsfähig ist: der althergebrachte, planbasierte Prozess, die Datenlage dazu und das asynchrone Arbeiten aller Projektbeteiligten. Als ich zum ersten Mal gesehen habe, welche Möglichkeiten ein BIM-Modell eröffnet, wurde mir klar, wie gut man alles zentralisieren kann. Und ich fragte mich, warum das nicht jeder so macht. Nach der anfänglichen Begeisterung stellte ich dann fest, dass der Teufel im Detail steckt. So habe ich mich durch die Thematik durchgebissen und mir langsam ein Know-how aufgebaut. Mittlerweile gebe ich mein Wissen an die Studierenden der Hochschule Karlsruhe, Fakultät für Architektur und Bauwesen, weiter. Aber BIM bleibt ein Prozess, denn Digitalisierung ist nie zu Ende. Begeistert bin ich nach wie vor, doch die ganze Sache ist aus heutiger Sicht wesentlich komplexer. BIM in der Theorie funktioniert sehr gut, nur stellt uns die Praxis manchmal vor gewisse Herausforderungen. Alles in allem hilft uns BIM die drei K’s, wie ich sie nenne, zu optimieren: Kommunikation, Koordinierung und Kollaboration.

Was macht für Sie die Bedeutung von BIM aus?
In einem Wort: Nähe. Alle arbeiten viel näher zusammen. BIM-Modelle machen es wesentlich einfacher, alle Informationen intuitiv zu verstehen. Wenn man einen CAD-Plan mit mehreren Ebenen vor sich hat, ist das nicht ohne weiteres möglich. Unterschiedliche Informationen wie Linien, Schraffuren, Farben und Texte muss man erstmal interpretieren. Ein 3D-Modell ist hingegen intuitiv verständlich: Ich klicke drauf und weiß, was das Objekt sein soll. Ich verstehe die Zusammenhänge sofort. Das Wichtigste für mich ist, dass man im BIM-Modell die Informationen an zentraler Stelle gestalten kann. Man darf dabei aber auch nicht den Fehler machen zu glauben, dass alles im Modell enthalten sein sollte. Die Branche spricht gerne von der „Single Source of Truth“, also einer einzig gültigen Datenquelle. Das ist zwar richtig, wenn man das BIM-Modell als Datendrehscheibe versteht. Aber viele Informationen sollten darin nicht enthalten sein, sondern lediglich verlinkt werden. Wetterdaten zwecks Simulation sind ein gutes Beispiel: Die ins Modell reinzunehmen, ergibt keinen Sinn.

Sie arbeiten nun schon seit vielen Jahren mit der BIM-Methode. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für eine flächendeckende Umsetzung?
Die größte Herausforderung ist das Umdenken in den Köpfen der Menschen. Die Akteure müssen dafür aus ihrer Komfortzone heraus. Sie müssen sich dem Thema annehmen, um die Vorteile zu sehen. Auf die Frage, warum wir überhaupt etwas ändern sollen, bringe ich gerne das plakative Beispiel von Google Maps. Wir fahren heute alle wie selbstverständlich mit Google Maps herum. Und dass, obwohl wir mit dem ADAC-Straßenatlas doch auch gut angekommen sind. Genau so ist das auch mit der Planung: der Straßenatlas ist planbasiert, Google Maps ist komplett digitalisiert. Das ist nur ein simples Beispiel, das einfach zeigt, was es bringt, wenn man alle Informationen digitalisiert. Und genau so ist es auch mit der BIM-Methode. Wir sollten nicht mehr planbasiert arbeiten, weil das einfach große Nachteile hat. Theoretisch funktioniert es, aber modellbasiertes Arbeiten funktioniert wesentlich besser. Klar, ist es noch ein weiter Weg, bis alles optimal läuft. Aber es geht erstmal um diesen Transformationsprozess in den Köpfen. Das ist das Schwierigste.

Ist tatsächlich Akzeptanz das Problem?
Ja, klar. Viele erfahrene Ingenieure haben sehr junge Teams, die eine Affinität zu Technik haben, die neue Tools anwenden und auch Lust haben zu experimentieren. Denen fehlt aber die Praxis. Also müssen sie mit den erfahreneren Ingenieuren zusammenarbeiten. Die wiederum sehen nicht die Vorteile, weil sie an den traditionellen Arbeitsweisen hängen. Deshalb muss man beide Gruppen zusammenbringen. Mit den erfahrenen Ingenieuren muss man oft viel diskutieren. Sie sind manchmal argumentativ überlegen. Das ist ein Lernprozess für alle. Man kann nicht alles auf einmal umkrempeln und sagen, „so, jetzt machen wir BIM“. Da muss man geduldig und kleinteilig rangehen, Schritt für Schritt.

Wie erklären Sie sich die niedrige Durchdringung mit BIM in der DACH-Region?
Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass wir in diesem Teil der Welt haargenau planen. In der Software-Entwicklung gibt es die Ansicht, dass, wenn etwas in Deutschland funktioniert, es überall funktioniert. Wir wollen auf der Baustelle eben keine bösen Überraschungen erleben. Es liegt aber vielleicht auch an der softwaretechnischen Seite. International gesehen gibt es einen dominanten Player, mit dem international am meisten gearbeitet wird: Autodesk. Das macht die Sache technologisch einfacher, weil es dann nur wenige Schnittstellenprobleme gibt. Ich vergleiche das mit der Microsoft- und der Apple-Welt. Beides zusammen funktioniert auch nicht hundertprozentig. Wenn man da Daten austauscht, dann knirscht das schon mal an der Schnittstelle. Bleibt man bei diesem Vergleich, dann arbeiten international gesehen alle mit Apple und wir in Deutschland mit beidem, Microsoft und Apple. In Deutschland gibt es viele unterschiedlichen Tools, die für ihren jeweiligen Zweck und Anwendungsfall großartig sind. Aber es war historisch gesehen nie gedacht, dass sie interoperabel zusammenarbeiten. Mit der BIM-Methode wird jetzt diese Möglichkeit geschaffen. Es werden nachträglich Schnittstellen etabliert, damit sich die Tools untereinander austauschen können. Das ist ein Prozess auf der softwaretechnischen Seite, der einfach Zeit braucht. Auf der Anwendungsseite planen wir sehr komplex. Wir haben zum Beispiel sehr viele Beteiligte in unseren Projekten. In den USA gibt es eine überschaubare Anzahl großer Bauunternehmen, in Deutschland sind es wesentlich mehr. Unser Markt ist einfach sehr viel komplexer.

Wo sehen Sie bei dieser komplexen Ausgangssituation die größten Herausforderungen von BIM?
In Deutschland sind es tatsächlich die erwähnten softwaretechnischen Unterschiede und die Problematik der Schnittstellen. Das kann teilweise viel Zeit kosten. Die anderen Ingenieursaufgaben warten nicht. Wir haben nicht deshalb mehr Zeit, nur weil es ein BIM-Projekt ist, sondern im Gegenteil: Wir wollen ja schneller und effizienter sein. Und wenn es an den Schnittstellen hakt und wir manuell nacharbeiten müssen, ist das ärgerlich. Mit steigender Erfahrung haben wir aber auch das immer besser im Griff.

Wie verhält sich die Anwendung von BIM im Vergleich zwischen Planung und Bau?
Die Planung ist auf jeden Fall schon weiter. Schließlich sitzen die Planer öfter vor Rechnern, das macht den Zugang einfacher. Auf der Baustelle hingegen ist der Bauleiter froh, wenn er einen Plan hat. Er schaut, dass alles an seinem Platz ist und funktioniert, dann ist gut. Nichtsdestotrotz versuchen wir, auch auf der Baustelle komplett modellbasiert zu arbeiten, zum Beispiel mit Unterstützung von Augmented Reality. Aber die Kollegen müssen dazu geschult werden, und sie müssen auch genügend Zeit für die Schulungen bekommen und das Verständnis dafür mitbringen. Das wird mit der Zeit auch kommen. Ich bin davon überzeugt, dass das wesentlich effizienter ist als mit einem Plan.

Das war Teil 1 des Interviews. Über unsere Social-Media-Kanäle halten wir Sie gerne auf dem Laufenden.